Die abenteuerlichen Reisen der Seeleute und der Spirituosen

Der 25. Juni ist seit 2011 der internationale Tag der Seeleuete – oder „Day of the Seafarer“, wie er international genannt wird. Jeder Seemann, jede Seefahrerin und jeder Seefahrer ist auf der jeweils ganz eigenen Reise unterwegs, aber alle Seeleute haben auch ähnliche Herausforderungen zu bewältigen und vergleichbare Schwierigkeiten zu lösen. Vor allem im Laufe der Zeit haben sich diese stark verändert – und doch bleibt der Kern und die Faszination der Seefahrt die gleiche.

Deshalb lautet das Motto des 2022er Tag der Seefahrenden: „Your voyage – then and now, share your journey“. Während zuletzt zum Day of the Seafarer oft auch ernste soziale Themen fokussiert wurden, geht es dieses Jahr ganz um die persönlichen Geschichten. Seeleute sind dazu aufgerufen, mit Fotos von ihrer jeweils ersten Seefahrt und ihrer aktuellen Reise zu veröffentlichen und ihre Storys zu teilen. Und auch wir erzählen hier im Blog unsere liebsten Seefahrer-Geschichten.

Die gängigsten Geschichten über die Seefahrt sind voller Romantik, aber die reale Geschichte der Seefahrt war zu allen Zeiten voll von Entbehrungen und großen gesundheitlichen Risiken. Bis heute ist ein Schiff auf hoher See ein Arbeitsplatz mit wenig Komfort – zumal man auch zum Feierabend nicht nach Hause kann, sondern wochen- und monatelang dort verbringt. Auch wenn viele Geschichten sich nicht auf Fakten, sondern auf dem sprichwörtlichen Seemannsgarn der mündlichen Überlieferung beruhen, dürfte klar sein: Noch vor wenigen Jahrzehnten war jede Seefahrt ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. 

Gefangen im Seemannsgarn: See-Ungeheuer und andere Legenden

Vor der Einführung der modernen Kommunikationssysteme verschwanden noch viele Schiffe völlig spurlos in den Tiefen der Ozeane. So erging es etwa der Handelsfregatte Elmilio, von der nur noch einige wenige Legenden und als Strandgut entdeckte Artefakte zeugen, deren genaue Herkunft allerdings nicht geklärt ist. Der nach ihr benannte, mittelamerikanische Rum-Blend „Ron Elmilio“ ist eine Hommage an die Pioniere, die seinerzeit unter großen Gefahren die wertvolle Fracht durch die schlimmsten Stürme meistens sicher ans europäische Festland brachten.

Ähnlich verhält es sich mit The Kraken Rum. Der Black Spiced Spirit erzählt allerdings einen andere Geschichte, die noch etwas mehr mit legendärem Aberglauben zu tun hat: Der „Legend of the Kraken“ zufolge soll es in bestimmten Meeresregionen erforderlich gewesen sein, mithilfe eines Opfers das vielarmige Seeungeheuer, den Kraken, zu besänftigen. Nur der feinste gewürzte Rum war geeignet, sich der Gunst des Riesenkraken zu versichern und sein Revier zu passieren, ohne von seinen Tentakeln in die Tiefe gerissen zu werden.

 

Riesenkraken und andere Fabelwesen zieren die von Hand gezeichneten Seekarten vergangener Zeiten. Umstritten ist, wie sehr die Seeleute, Entdecker und Kartographen tatsächlich an ihre Existenz glaubten – oder welche realen Ereignisse und Phänomene ihre Phantasie angeregt haben könnten. Sich auf Küstensteinen sonnende Seekühe gelten etwa als Inspiration für Meerjungfrauen, die in zahlreichen verschiedene Mythen vorkommen und auch als Gallionsfiguren von Schiffen dargestellt wurden.

Mermaid Gin von der Isle of Wight im Ärmelkanal hingegen bezieht sich namentlich darauf, dass der an den felsigen Küsten wachsende Meerfenchel, der als besonderes Hauptbotanical den Gin geschmacklich prägt, im Englischen nicht nur „rock samphire“, sondern auch Mermaid’s Kiss genannt wird.

Harte Zeiten, raue Sitten; viel Schatten viel Licht

Wussten Sie, dass Augenklappen nicht etwa zum Piratenkostüm gehören, weil die historischen Piraten allzu oft einen Säbel ins Auge bekommen haben? Die Wahrheit ist: Die Augenklappe ist ein praktisches Mittel, um besser mit dem großen Kontrast zwischen Helligkeit auf Deck und Dunkelheit unter Deck klarzukommen. Das bedeckte Auge gewöhnte sich schneller an die Sichtverhältnisse – und auch normale Seeleute dürften sich dieses Tricks bedient haben.

Die mit der Augenklappe oft assoziierten rauen Sitten gab es ebenfalls nicht nur bei den Piraten, die jenseits von Recht und Gesetz und frei vom Einfluss der „großen Affen“ (Piratensprache für Adelige) agierten. Auch bei den königlich-britischen Seeleuten und Marinesoldaten der Britisch Royal Navy war der Alltag auf hoher See kein Verwöhnprogramm. Denn zu Zeiten des Kolonialismus waren die Weltmeere Schauplatz eines Wettrennens um neue Länder für die Europäer und Einflussgebiete für ihre Herrscher – inklusive zahlreicher Seeschlachten und Seekriege.

Über Jahrhunderte gab es kaum eine Epoche ohne Konflikte zwischen den verschiedenen europäischen Königreichen, die auf den Ozeanen zwischen den Kriegsschiffen ausgetragen wurden. Selbst neutrale Handelsschiffe mussten stets militärisch geschützt werden – vor Piraten ebenso wie vor Freibeutern wie dem berühmten Captain Morgan oder den offiziellen Flotten der Feinde.

Und ’ne Buddel voll Gin: die Bordverpflegung der British Royal Navy

Zur Verpflegung der Schiffe der britischen Marine gehörte dabei immer auch Alkohol – teils zur Konservierung anderer Lebensmittel, teils zur Besänftigung der Crew. Schon früh war die viel besungene „Buddel voll Rum“ nicht nur bei den Piraten, sondern auch bei den Soldaten Teil des Alltags an Deck – und der offiziellen Bordverpflegung. Seit dem 17. Jahrhundert hatten Seeleute der Royal Navy Anspruch auf eine Gallone (etwa vier Liter) Bier pro Tag, das aufgrund der besseren Haltbarkeit bei langen Reisen in wärmere Klimazonen durch Brandy ersetzt wurde. Nach der Eroberung Jamaikas 1655 griffen die Briten auf Rum zurück, der durch die Lagerung in Holzfässern unter Deck sogar an Qualität gewann – dazu mehr weiter unten.

Ab 1731 galt hochoffiziell ein halbes Pint (etwa ein Viertelliter) Rum als adäquates Äquivalent zur Gallone Bier als tägliche Ration. Ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass diese Ration – Stichwort „Navy Strength“ – auch für Rum-Verhältnisse im höherprozentigen Bereich gewesen sein dürfte. Der Grog wurde erfunden als Möglichkeit, den Rum verdünnt einzunehmen und den Dienst auf dem schwankenden Schiff diszipliniert und zuverlässig verrichten zu können.

Später ersetzte heimischer Gin den Übersee-Rum als Bordverpflegung. Unter anderem Gordon’s, Hayman’s und Plymouth Gin wurden offizielle Lieferanten der britischen Marine. Und zumindest aus dem Hafen von Plymouth lief ab Ende des 18. Jahrhunderts kein Schiff aus, ohne mindestens eine Flasche Plymouth Gin an Bord zu haben.

Rum oder Gin: Empfehlungen für die eigene Kombüse

Black Tot: das Ende der täglichen Spirituosenversorgung

Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts war die Alkoholverpflegung der Marine jedoch mehr und mehr umstritten und die „Tot“ genannte Ration wurde nach und nach verringert oder um verschiedene andere Optionen ergänzt. Dennoch hielt sich der Brauch insgesamt 315 Jahre lang: Erst am 31. Juli 1970 wurde der letzte Tag der täglichen Schnapsrationen – seither „Black Tot Day“ genannt – auf den Schiffen als Trauerfeier begangen. Das Ende der Rumausgabe hat sich allerdings nicht im gesamten ehemaligen Britischen Empire gleich herumgesprochen. Die Königlich Neuseeländische Marine pflegte die Tradition noch knapp 20 Jahre länger und feierte ihren eigenen „Black Tot Day“ erst am 28. Februar 1990.

 

Ohne Seefahrt keine fassgereiften Spirituosen

Warum wir bei vielen Spirituosen besonders die „braunen“ Sorten wertschätzen und gegenüber den „weißen“, klaren, bevorzugen, ist teilweise in der Geschichte der Seefahrt begründet. Rum wurde beispielsweise auf der langen Überfahrt von der Karibik nach Europa in den Fässern gereift, kam also in unseren Längengraden lange Zeit überhaupt nicht in seiner klaren Form an. So genießen wir in Europa bis heute eher braunen Rum, während in den Herkunftsländern oft der frische weiße Rum in der Trinkkultur stärker verankert ist.

Mit Plantation Rum hat ein französischer Hersteller diesen Aspekt der Geschichte der Fassreifung wieder ins Bewusstsein gebracht: Neben dem „double ageing“ – der doppelten Reifung zuerst im Herkunftsland und dann in Frankreich – gilt auch das „dynamic ageing“ , also die dynamische Reifung im mobilen transatlantischen Fasslager, als elementarer Teil des Entstehungsprozesses der verschiedenen Plantation Rums.

 

Extremreifung auf Madeira – und auf dem Seeweg von Madeira

Eine andere Getränke-Spezialität, zu deren Geschichte die doppelte Lagerung inklusive dynamischer Reifung im Schiffsrumpf dazu gehört, ist die Weinsorte Madeira. Die gleichnamige Insel liegt etwa 600 Kilometer von Marokko und 850 Kilometer von Portugal entfernt im Atlantik. Schon seit dem 15. Jahrhundert wird dort Wein gekeltert. Im Zeitalter der europäischen Entdeckungsreisen machten viele Schiffe einen Zwischenstopp auf Madeira und luden den lokalen Wein an Bord. Der bereits im tropischen Klima der Insel auf den Dachböden der Lagerhäuser extremen Temperaturschwankungen ausgesetzte Wein wurde wie Portwein mit etwas destilliertem Alkohol haltbarer gemacht und reifte anschließend in den Fässern im Schiffsrumpf nach – erneut unter extremen Bedingungen.

Warum werden Linie Aquavit und Avontuur Rum zur Reifung verschifft?

Wenn wir uns heute einen im Madeira-Fass nachgereiften Linie Aquavit Double Cask einschenken, holen wir also gleich mehrere Seefahrtgeschichten aus der Flasche. Denn der Aquavit der norwegischen Firma Lysholm verbringt vier von seinen insgesamt 16 Monaten Reifung in Oloroso-Sherryfässern auf See und überquert dabei zwei Mal den Äquator. Ein staatlich beglaubigtes Zertifikat auf der Rückseite des Vorderetiketts jeder Flasche Linie Aquavit gibt Auskunft über Route, Reisedaten und den Namen des Schiffes, auf dem der Inhalt seine Reise zurückgelegt hat.

Dieses Prinzip verfolgt auch Avontuur, wobei hier alle Spirituosen auf dem gleichnamigen Schiff mitreisen. Der zweimastige Gaffelschoner galt schon als einer der letzten wahren Frachtsegler des 21. Jahrhunderts, bevor er 2005 zum Ausflugsschiff umfunktioniert wurde. Seit 2016 ist die Avontuur wieder auf hoher See in ihrer eigentlichen Bestimmung unterwegs. Die Timbercoast Crew möchte mit ihren Frachtsegeltörns die Möglichkeit, Waren umweltfreundlich per Windkraft zu transportieren, wieder bekannt machen. Neben der eigentlichen Fracht immer auch an Bord: Spirituosen, die später in limitierten Abfüllungen verkauft werden.

Die auf langen Schiffsreisen gereiften Spirituosen hier entdecken:

 

Avontuur Rum reift also nicht nur auf dem Schiff, sondern erzählt mit seiner Atlantikreise auch eine Geschichte über Umweltschutz und nachhaltigen Konsum. Die von Catharina Lysholm im Jahre 1805 auf die erste Aquavit-Äquatorreise geschickte Trondhiems Prøve war auch noch ein Segelschiff. Damit wurden norwegische Waren nach Ostindien (gemeint ist wohl das heutige Indonesien). Fünf Fässer Aquavit kehrten zurück und man stellte beim Löschen der Ware im Heimathafen fest, dass die Seereise den Geschmack der Spirituose perfektioniert hatte.

 

Während Lysholm’s Linie Aquavit heute auf Containerschiffen reist und reift, besinnt sich Avontuur auf die ursprüngliche und emissionsfreie Art der Frachtschifffahrt – und auf die Ursprünge der Holzfassreifung von Spirituosen.

 

Sogar Cognac und Whisky reiften ursprünglich während und wegen der Schifffahrt im Fass

Auch die Cognac-Herstellung begann überhaupt erst, als sich holländische Kaufleute des 16. Jahrhunderts für die Weine der Region interessierten – und diese zur längeren Haltbarkeit destillierten. Im 17. Jahrhundert übernahmen die Franzosen die Produktion des begehrten „Brandwijn“ selbst und verbesserten die Destillationsverfahren. Doch die heute für Cognac so bedeutsame, lange Holzfasslagerung und die Maisons mit ihren dafür vorgesehenen Reifekellern entstanden erst, nachdem dieser eigentlich zum Verschiffen vorgesehene Branntwein mal zufällig länger stehen blieb und man entdeckte, dass der Geschmack sich dadurch verfeinert hatte.

Selbst Whisky wurde in Schottland lange Zeit noch als klarer Gerstenbrand frisch aus der Brennblase ausgeschenkt und bekam erst nach und nach erste Reife-Erfahrungen durch den Handel und Austausch mit spanischen Sherry-Herstellern. 1915 wurde die Mindestdauer der Fasslagerung bei Scotch Whisky schließlich auf zwei, ein Jahr später auf die bis heute gültigen drei Jahre festgelegt – ein früher Erfolg der noch jungen Scotch Whisky Association, die damit nicht nur Komplettverbote oder Extrembesteuerungen im Sinne der Prohibitionsbewegung umgehen, sondern auch ein völlig neues Qualitätsbewusstsein für das Getränk schaffen konnte.

Die langjährige Holzfassreifung hat heute einen enorm hohen Anteil am Geschmack der Spirituose, doch die Geschichte dieser Praxis ist gar nicht mal so lang. So verwundert es auch nicht, dass auch heute noch an dem Phänomen geforscht und experimentiert wird. Längst sind nicht alle Rätsel der Holzfassreifung und der dabei vonstatten gehenden chemischen Prozesse entschlüsselt. Besonders spannend ist dabei die dynamische Reifung im Bug eines Schiffes.

 

Vom Schiff in die Flasche: Was bringt die Reifung im Bug?

Die Theorie lautet, dass die konstante Bewegung im Wogen der Wellen deutlich mehr Kontakt zwischen der Spirituose und der Holzinnenwand des Fasses ermöglicht als es im Warehouse oder im Keller der Fall ist. Dadurch sollen bestimmte Reifeprozesse schneller ablaufen. Vor allem die additive Reifung, bei der die alkoholische Flüssigkeit aromatische Stoffe aus dem Holz herauslöst und dem eigenen Geschmack hinzufügt, wird durch die Bewegung beschleunigt – ebenso wie durch hohe Temperaturen und Temperaturschwankungen oder hohem Luftdruck.

Die fünfjährige Reifezeit auf dem Bodensee im historischen Linienschiff „MS Schwaben“ verlieh etwa dem limitierten – und bereits ausverkauften – Steinhauser Brigantia Schwaben Whisky eine angenehme Süße und eine besondere Reife, die ihn deutlich vom Brigantia Classic Single Malt aus ähnlich langer Lagerung bei Volksmusik im Whiskystadel in Kressbronn unterscheidet. Auch die Editionen von Brigantia Whisky aus verschiedenen Fässern, in denen zuvor Rum, Sherry oder Islay Whisky reifte, beziehen sich in gewisser Weise auf die ganz eigene Verbindung der Geschichte Fassreifung mit der Geschichte der Seefahrt.

Teile dieses Artikels wurden bereits in Zum Wohl in den Ausgaben 2021/01 und 2022/01 gedruckt veröffentlicht. 

 

Ahoi, Kameraden,
Ahoi, Oi, Oi!