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Was bedeuten die Schlieren im Schnapsglas?
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Was hat es mit den Schlieren im Glas bei Schnaps und Wein auf sich? Verraten die "Kirchenfenster" wirklich etwas über die Qualität der Spirituose, oder handelt es sich dabei um einen alten Irrglauben?
Schlieren im Glas: Ein Qualitätsmerkmal?
Man kennt das Bild von Wein- und Spirituosen-Verkostungen: Experten und solche, die sich selbst dafür halten, schwenken ihre Gläser und begutachten dann mit kritischem Blick die sich an den Glasinnenwänden bildenden Schlieren (auch "Kirchenfenster" oder "Tränen" genannt).
Aber was verraten uns die Schlieren wirklich über den Inhalt des Glases? Erlauben sie uns, wie man immer wieder hört, Rückschlüsse auf die Zusammensetzung oder sogar die Qualität der Flüssigkeit? Die kurze Antwort ist ein klares "Jein". Für die lange Antwort muss man etwas weiter ausholen...
Schlieren, Kirchenfenster, Tränen: Viele Namen für den Marangoni-Effekt
Wer einen Schnapskelch mit hochprozentigem Inhalt schwenkt, wird mit hübschen Schlieren belohnt, welche die Flüssigkeit auf den Innenseiten des Glases zeichnet. Dafür verantwortlich ist ein Effekt, der erstmals 1865 von einem italienischen Physiker wissenschaftlich beschrieben wurde: Der Marangoni-Effekt, benannt nach seinem Entdecker Carlo Marangoni. Dieser beschreibt das Verhalten von Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Oberflächenspannung. Was das mit unseren Schlieren zu tun hat?
Schlieren entstehen, wenn Alkohol verdunstet
Schnaps besteht, stark vereinfacht gesprochen, vor allem aus Alkohol (überwiegend hochwertigem Ethanol) und Wasser. In Kontakt mit Luft verdunstet Alkohol schneller als Wasser. So weit, so gut. Was passiert also, wenn wir unseren Schnapskelch schwenken? Ein Teil der Flüssigkeit benetzt die Glasinnenwände und bildet damit eine größere Oberfläche zur Luft. In diesem Bereich verdunstet der Alkohol nicht nur schneller als das Wasser, er verdunstet auch schneller als jener im Glasboden. Dadurch nimmt der Alkoholgehalt an den Glaswänden ab, der Wassergehalt steigt prozentuell gesehen an und damit auch die relative Dichte.
Die Schlieren "ziehen" die Flüssigkeit nach oben
Da sich der Alkohol an der Glaswand schneller verflüchtigt als im Rest des Glases, erhöht sich mit der Dichte des Flüssigkeitsfilms auch seine Oberflächenspannung. Hier setzt nun der von Herrn Marangoni beschriebene Effekt ein: Die Flüssigkeit mit der höheren "zieht" an jener mit der niedrigeren Oberflächenspannung, die Schlieren rinnen nicht mehr so schnell nach unten ab, wie sie sollten. Diesen Effekt kann man mit freiem Auge beobachten, wenn sich beim Schwenken Schlieren im Glas zu bilden beginnen, die den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen scheinen. Denn die Schlieren bleiben über Minuten hinweg an der Glaswand haften und bilden auffällige Strukturen (die typischen Kirchenfenster mit ihren filigranen Stützpfeilern, den "Tränen").
Mythos Viskosität: Der direkte Vergleich Schnaps vs. Wasser
Wenn die Schlieren, wie man häufig lesen kann, bloß mit der besonderen Viskosität (Zähflüssigkeit) oder Dichte einer Spirituose in Zusammenhang stünden, müsste eigentlich süße Limo und auch Wasser auffälligere Kirchenfenster bilden als klarer Edelbrand. Denn dieser hat aufgrund der geringeren Dichte des Alkohols (immerhin um die 40% des Gesamtvolumens) ja auch eine geringere Gesamtdichte. Wir versuchen einen kleinen Vergleich:
Einmal geschwenkt und etwas gewartet. Nach wenigen Sekunden wird klar, in welchem Glas sich der "Klare" befindet. Während die Schlieren bei Wasser (m.) und Limo (re.) sich schon nach wenigen Sekunden zurückbilden, bleiben sie im Schnapsglas (li.) deutlich sichtbar, ihre Stiele nach unten werden länger, der "Ring" ist auch noch nach einer Minute zu erkennen. Wer will, kann den Vergleich auch auf die Spitze treiben und dem Wasser etwas Glycerin zufügen, wodurch sich die Viskosität der Flüssigkeit noch weiter erhöht: Trotzdem werden sich keine vergleichbaren Schlieren bilden wie beim klaren Schnaps.
Was also verraten uns die Schlieren über die Flüssigkeit?
Zuerst einmal, dass Alkohol im Glas ist. Form und Beständigkeit der Schlieren verraten uns einiges über den Ethanolgehalt einer Flüssigkeit, erlauben jedoch keine weit darüber hinausgehenden Aussagen über die Qualität einer Flüssigkeit. Mehr Alkohol führt zu dickeren "Tränen" und spitzbögigen "Kirchenfenstern", während ein geringerer Alkoholgehalt zu schwächeren Tränen und eher rundlichen Fensterbögen führt. Beeinflusst wird der Marangoni-Effekt außerdem noch durch die Form des Glases: Nach oben verjüngte Gläser (wie unsere Schnapskelche) verstärken die Schlierenbildung und -haftung.